Geheimplan für die AKW-Betreiber

Das Handelsblatt hat am 6.10.2011 von einem Geheimplan für die AKW-Betreiber berichtet.

Quelle: Handelsblatt

Den Bericht kann man mit einer Faustformel zusammenfassen:

Atompolitik: Gewinne werden privatisiert, Risiken sozialisiert

Der Inhalt des Artikels:

Ein streng vertrauliches Papier beschreibt ein Modell zur Finanzierung des Rückbaus deutscher Atomkraftwerke. Es sieht vor, das ein Teil der
Kosten zunächst aus der Staatskasse überbrückt wird.


Bis 2022 müssen alle deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet werden, hat der Bundestag beschlossen. Unklar aber ist, wo der Strom nach der Energiewende herkommen soll. Die Stadtwerke sind zu klein, um die notwendigen Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energien zu stemmen. Und die großen Energieversorger erhalten praktisch kein Kapital mehr, seit der Atomausstieg beschlossen ist – weder von Aktionären noch von Banken oder Anleihegläubigern. Denn die enormen Risiken, die den Konzernen beim Rückbau der Kernkraftwerke entstehen, sind den Investoren zu hoch.

Ein möglicher Ausweg wird derzeit bei den Energieversorgern, aber auch in eingeweihten Kreisen in Berlin diskutiert. Der streng vertrauliche Plan, dessen Eckpunkte dem Handelsblatt bekannt sind, wurde von der Investmentbank Lazard erarbeitet. Er sieht eine Atomstiftung vor, die es den Versorgern ermöglichen soll, bis zu 50 Milliarden Euro in erneuerbare Energien zu investieren.

Nach dem Vorschlag könnten die Konzerne ihre Meiler in eine staatliche Stiftung einbringen. Die Risiken, die sie an die Stiftung abgeben, liegen bei etwa 28 Milliarden Euro. Im Gegenzug müssten sie ihre gesamten Atomstrom-Einnahmen aus den verbleibenden Meilern bis 2022 bei der Stiftung abliefern. Die Summe beläuft sich auf circa 15 Milliarden Euro.

Die Differenz von 13 Milliarden Euro gleicht der Staat aus – im Gegenzug erhält er Schuldscheine der ehemaligen Atomkonzerne. Die Unternehmen können diese Forderungen nur gegen Investitionen in erneuerbare Energien ablösen.

Wenn ein Konzern beispielsweise zwei Milliarden Euro in einen Offshore-Windpark investiert, der sich eigentlich nur bei Kosten von 1,8 Milliarden Euro wirtschaftlich betreiben ließe, könnte das Unternehmen die Differenz von 200 Millionen mit dem Schuldschein verrechnen. Diese Summe gibt der Staat in diesem Fall an Subventionen dazu, damit der Windpark gebaut wird.

Experten schätzen, dass so ein Anreiz entsteht, mindestens einen „hohen zweistelligen Milliardenbetrag“ in erneuerbare Energien oder auch in die nötigen Stromtrassen zu investieren. „Grundsätzlich könnte das ein erfolgversprechender Weg sein, die Energiewende voranzubringen“, sagte der Vorsitzende der Energiegewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, dem Handelsblatt.

Finanzielle Klemme
Jahrzehnte lieferten Kernkraftwerke ihren Betreibern fantastische Gewinne: Biblis A und B in Hessen, Isar 1, Philipsburg 1 und Neckarwestheim 1 in Süddeutschland sowie Unterweser, Krümmel und Brunsbüttel im Norden. Doch seit März stehen die Reaktoren nur noch nutzlos herum. Für Eon, RWE, EnBW und Vattenfall sind sie nur noch eine große Last. Der Rückbau wird langwierig und teuer. Und in den kommenden
elf Jahren werden neun weitere Anlagen abgeschaltet.
Die Reaktorkatastrophe von Fukushima und die folgende Energiewende in Deutschland haben die Energiekonzerne in eine ernste finanzielle Klemme gebracht. Die zuverlässigen Cash-Flows sind weggebrochen, die Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung der Anlagen belasten die Bilanzen mit rund 30 Milliarden Euro.
Die Konzerne kämpfen deshalb verzweifelt um ihre Kreditwürdigkeit. Eon wurde gestern von der Ratingagentur Moody’s mit Blick auf den Atomausstieg abgestraft, die Einstufung von A2/Prime-1 auf A3/Prime-2 zurückgenommen. Damit liegt Eon nur noch knapp im A-Bereich.
Hauptkonkurrent RWE war schon im Sommer entsprechend heruntergestuft worden. Für die Energiekonzerne ist das fatal. Mit einem Rating im „B“-Bereich wird für sie nicht nur die Kapitalbeschaffung teurer. Vor allem hätten die Handelstöchter Probleme, ihre milliardenschweren Trading-Geschäfte umzusetzen. Handelspartner pochen schließlich auf eine gute Bonität, viele setzen ein „A“-Rating in den teuren Geschäften voraus.

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Gewerkschaft IG BCE, sorgt sich vor diesem Hintergrund um die Zukunft der großen Energiekonzerne – und der Energiewende. Ohne die großen Energieversorger sei ein Gelingen der Energiewende kaum vorstellbar. Heute sei deren Investitionsfähigkeit aber eingeschränkt, zudem würden Investitionen aus betriebswirtschaftlicher Rationalität vor allem im Ausland getätigt:
„Wir wollen Investitionen in erneuerbare Energien in Deutschland“, sagte
er dem Handelsblatt.

Steinkohlebergbau dient als Vorbild
Er unterstützt deshalb die Pläne, eine Stiftung für die deutschen Kernkraftwerke zu prüfen. Das Vorhaben ist ebenso spektakulär wie politisch heikel. Nur wenige Führungskräfte aus der Energiebranche und Politiker sind eingeweiht. Nach Informationen des Handelsblatts arbeitet die Investmentbank Lazard aber schon seit Wochen auf eigene Initiative an einem entsprechenden Modell. Vertreter von Lazard wollten sich auf Anfrage nicht äußern.
Als Vorbild für die Pläne dient die Ruhrkohle-Stiftung.
Informierten Kreisen zufolge sieht der Plan in seinen Eckpunkten so aus:
Die Energiekonzerne lagern auf freiwilliger Basis ihre Atommeiler in eine staatliche Stiftung aus.

Die Stiftung übernimmt die Risiken, die im Zusammenhang mit dem nötigen Rückbau der Meiler und der Endlagerung des Atommülls auf den Konzernen lasten – der Barwert dieser Risiken beträgt etwa 28 Milliarden Euro.
Im Gegenzug erhält die Stiftung die Einnahmen, die den Konzernen bis 2022 aus den Reststrommengen der Meiler zufließen – deren Barwert beläuft sich auf etwa 15 Milliarden Euro.
Für die Differenz, also rund 13 Milliarden Euro, unterzeichnen die Konzerne Schuldscheine, die sie bis zu einem festgelegten Datum mit Investitionen in erneuerbare Energien abgelten müssen. Dabei wird ihnen aber nicht die Gesamtinvestition erstattet, sondern nur der Teil, der nach heutigem Stand der Technik unwirtschaftlich ist. Wenn ein Konzern beispielsweise zwei Milliarden Euro in einen Windpark investiert, der 1,8 Milliarden Euro Gewinn abwirft, kann er Schuldscheine über 200 Millionen Euro ablösen. Damit ergäben sich Investitionen in grüne Energieformen mindestens „in Höhe eines hohen zweistelligen Milliardenbetrages“, sagte ein Manager, der mit den Plänen vertraut ist.
Als Vorbild für die Pläne dient die 2007 gefundene Lösung für die Abwicklung des deutschen Steinkohlebergbaus. Die RAG, die ehemalige Ruhrkohle, steckte damals in einem ähnlichen Dilemma wie heute die Energiekonzerne. Die lukrativen Bereiche, insbesondere die Chemiesparte, mussten für die langfristigen Schäden des Kohlebergbaus haften. Nach zähem Ringen wurden der auslaufende Bergbau und die Deckung der langfristigen Lasten von der RAG-Stiftung übernommen. Die
wirtschaftlichen Bereiche wurden in den Mischkonzern Evonik überführt, dessen Dividenden und Aktien zur finanziellen Ausstattung der RAG-Stiftung dienen sollen.

Pläne werden konkret geprüft
Klar ist, dass das aktuelle Vorhaben politisch äußerst heikel ist – wie übrigens damals auch die Gründung der RAG-Stiftung. Klar ist aber auch, dass es eine elegante Lösung der Energieprobleme beinhaltet. „Politik und Unternehmen sollten prüfen, ob sie sich auf ein Bündnis zum wechselseitigen Vorteil einlassen können“, sagt IG-BCE-Chef Vassiliadis.
Es dürfe aber keine einseitigen wirtschaftlichen Vorteile für die großen Versorger geben.
„Wenn überhaupt, dann hat eine solche Stiftung nur dann eine Chance, wenn die Energiekonzerne sie ausreichend ausstatten“, sagt ein mit den Plänen vertrauter Manager. Die Konzerne hätten trotz des Nullsummenspiels einen großen Vorteil: Ihre Bilanzen würden mit den Risiken aus dem Rückbau der Meiler um einen Posten entlastet, der ihnen den Zugang zum Kapitalmarkt enorm erschwert.

In Baden-Württemberg wird für die EnBW schon ein konkretes Modell diskutiert.
Noch sind viele Fragen offen, vor allem im Steuer- und Atomrecht. Aber ein Unterstützer betont: „Bei der Ruhrkohle ist auch etwas gelungen, was jahrelang als unmöglich galt.“
In Baden-Württemberg werden entsprechende Pläne konkret geprüft. Die grün-rote Landesregierung will den teilstaatlichen Energiekonzern EnBW zum grünen Vorzeigekonzern umbauen – und sich Partner unter Regionalversorgern suchen. Diese würden aber von den Altlasten in der Kernenergie abgeschreckt, sagt ein mit den Überlegungen in Baden-Württemberg Vertrauter. Die EnBW könnte deshalb unabhängig davon, ob es eine große Lösung für die gesamte Branche gibt, die Kernkraftwerke
in eine Stiftung ausgliedern: eine „schwarze EnBW“. Die „weiße EnBW“ könnte sich dann auf das Zukunftsgeschäft konzentrieren.

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